Hier ist alles anders... Psychiatrie im Jüdischen KH - 2009
An einem Freitag Vormittag gegen 11 Uhr wurde ich verlegt ins Jüdische Krankenhaus im Berliner Bezirk Wedding. Eines vorweg: die psychiatrische Abteilung in diesem Krankenhaus war einer der schrecklichsten Orte, die ich bis dahin gesehen und erlebt habe.... und das in einem Krankenhaus!!! Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, wie auch nur ein einziger Patient mit psychischen Problemen dort auch nur ansatzweise die Hilfe bekommen hat, die er so sehnlichst erhoffte!!! Aber dazu später mehr.
Ich wurde in die Rettungsstelle des Jüdischen Krankenhauses geschoben und von einer Ärztin untersucht. Nach einer kurzen Rücksprache mit dem Unfallkrankenhaus Marzahn, ich sah wohl der Ärztin zu gesund aus, musste ich dann doch bis zum kommenden Montag auf die Intensivstation. Während ich auf der Trage (liebe Journalisten: es heißt Trage, nicht Bahre) saß und wartete, verspürte ich einen Bewegungsdrang in meinen Beinen, oder besser gesagt, es war eine körperliche Unruhe. Ich wippte also mit meinen Unterschenkel vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück....
Also bezog ich ein Zweibettzimmer auf der ITS, vorerst war ich Allein. Der für mich verantwortliche Pfleger war nett und entspannt. Er verkabelte mich erstmal komplett, sah aber keine durchgehende Dokumentation für notwendig und trennte die Kabelage an den "Sollbruchstellen" wieder, womit er mir einige Freiheiten gab. Ich zog dann erstmal los und suchte nach Mitstreitern, die mit mir gemeinsam ihre Zeit hier verbrachten. Weit gekommen bin ich nicht, ein freilaufender ITS-Patient war wohl nicht alltäglich. Zurück im Schlafgemach hielt ich es keine 30 Sekunden aus, die Unruhe war immer stärker geworden und das Wippen mit den Beinen brachte die Ruhe nicht zurück. Also erkundete ich meine Residenz und lief die ganzen 5 Meter von der Haustür zum Fenster immer wieder auf und ab. Wenn die Luft auf dem Hausflur rein war, sprang ich ins gegenüberliegende Patienten - WC. Da war allerdings schon lange kein Patient mehr gewesen, das Klo war vollgestellt mit Infusionsständern und medizinischer Ausstattung. Kein Platz um ein paar Runden zu drehen, vorschriftsmäßig waren aber die Reinigungszeiten der beauftragten Reinigungsfirma auf einem A4-Papier an der Innenseite der WC-Tür vermerkt. Das beruhigte mich allerdings nicht und so zog ich weiter meine Runden im Zimmer....
Wer sich mit Suchtkranken oder -krankheiten auskennt, wird wohl erahnen, dass meine Unruhe einen Grund hatte. Nach meiner Zeit im Koma, einigen Op's und mehreren "schönen" Wochen mit Opiaten, war ich auf "Null" gesetzt worden und der Entzug hatte eingesetzt. Mit meinem heutigen Wissen, eine damals unverantwortliche Schnellentziehung ohne mich oder meine Familie vorher aufzuklären.
Mittlerweile bekam ich einen Gast aufs Zimmer, ein nur etwas älterer Patient wie ich, der einen Darmverschluss und nachfolgenden Riß nur überlebte, weil die Ärzte diese Komplikation schnell erkannten und er umgehend operiert wurde. Seine Überlebenschancen waren anfangs weit weniger als 50 Prozent.
Für mich verging die Zeit einfach viel zu langsam, ich wusste nicht was ich machen sollte. Eigentlich wollte ich ein Buch lesen, ich schaffte nicht mal eine halbe Seite und musste wieder aus dem Bett springen, um meine Unruhe und den Bewegungsdrang nachzukommen. Ich hielt es nicht aus und wusste nicht wohin mit mir. Mittlerweile kannte ich alle Einträge auf der Reinigungsliste des Patienten - WC auswendig und auf dem Zimmer konnte ich auf Grund des neuen Mitbewohners ja auch nicht ständig herumtigern... Zum Glück schlief es anfangs sehr viel und ich wartete sehn"süchtig" auf meine Schlaftablette nach dem Abendessen.
Könnt ihr euch vorstellen, ohne Fernseher, Radio, Bücher, Lektüre welcher Art, ohne jegliche Beschäftigung, ohne Ablenkung, ohne Hilfe von ärztlicher Seite, einfach auf euch allein gestellt, von Morgens bis Abends still im Bett zu liegen... Und jetzt stellt euch das mit einer enormen Unruhe, einem riesigen Bewegungsdrang vor, ich wusste nicht wohin mit mir, es war eine unbeschreiblich Zeit, die aber noch immer einen draufsetzen konnte....
Am ersten Tag auf der ITS hielt ich mich weitestgehend an die Regeln, am Samstag, immer noch 2 Tage bis zum für mich rettenden Umzug auf die psychiatrische Station, konnte ich die abendliche Beruhigungs-Pille nicht mehr abwarten. Die Pillen wurden morgens vorbereitet auf meine Akte im Zimmer gelegt und blieben dort bis zur kontrollierten Vergabe durch eine Schwester oder einen Pfleger. Mir war es so was von egal, ich hielt es nicht mehr aus, die Entzugserscheinungen waren viel zu stark, ich brauchte endlich eine Beruhigungstablette...
Das Echo kam natürlich umgehend, am Sonntag war tagsüber eine Schwester für mich zuständig, die mir zeigte, wer Herr im Haus ist...
Folgt...